Kein schöner Hinterland!

Dass provinzielle Umtriebe sich nicht auf das Genießen der schönen Landschaften, der frischen Luft und der idyllischen Sonnenuntergänge beschränken, sondern beim näheren Hinsehen die Bilder der Natur das einzige Schöne sind, ist nichts Neues. Dass es aber von Zeit zu Zeit noch unerträglicher wird als der normale Alltag und die normale Dorfgemeinschaft, wird an diesem Wochenende mal wieder ersichtlich.

Am 10. August 2013 wird in Berga das Rechtsrock-Festival „In.Bewegung 2013 – Das politische Fest der Nationalen“ stattfinden, wobei bis zu 1000 Neonazis erwartet werden. Dass sich eine derartige Großveranstaltung gerade im mitteldeutschen Raum leider hervorragend etablieren kann, wird an den Rechtsrock-Festivals im thüringischen Raum, dem „Thüringentag der Nationalen Jugend“ (seit 2002), dem „Rock für Deutschland“ (seit 2003), dem seit 2010 zwar von den Veranstaltern abgesagten „Fest der Völker“ (seit 2005) und dem „Eichsfeldtag“/“Nationalen Kundgebungstag im Eichsfeld“ (seit 2011) deutlich, welche Besucherzahlen von bis zu 4000 Neonazis zu verzeichnen hatten. Auch die Skinhead-Konzerte im sachsen-anhaltischen Nienhagen, welche bis zu 1800 Teilnehmer hatten, haben sich dort innerhalb der letzten Jahre leider nur allzu gut in das Dorfbild, natürlich unter sinnlosem Protest einiger Bürger des Bündnisses „Bürgerbündnis Nienhagen-Rechtsrockfrei“, einfügen können. Immerhin gaben bei einer Bürgerabstimmung über 10% ihre Stimme für den Erhalt des Festivals im Dorf ab. Die wenigen kläglichen Gegenaktivitäten, an denen sich weitere 10% der Nienhagener beteiligten, erinnern eher an den Erhalt des schönen Dorfbildes und den Versuch der Verbannung der Medienaufmerksamkeit, folgt man dem Wunsch des Bündnis-Sprechers, die Größe der Veranstaltung der Größe des Dorfes anzupassen.1 Um die eigene Provinz nicht in ein schlechtes Licht zu rücken, um seine Heimatliebe und den Lokalpatriotismus weiterhin stolz zu frönen, versucht man mit fadenscheinigen Gegenaktivitäten auch dieses Festival „In.Bewegung“ aus dem eigenen Dorf, der Region zu vertreiben. Die „sportlichen Aktivitäten“, „Zeichnung von Transparenten“, ein „Picknick“, Kuchen essen und der nächtliche Kerzengang2 erinnern dabei allerdings eher an einen Kindergartenausflug als an eine vernünftige Auseinandersetzung mit Gesellschafts- und Ideologiekritik. Dass nämlich antisemitisches, rassistisches, nationales und sexistisches Denken tatsächlich diskriminierend und menschenverachtend, aber eben nicht ausschließlich im rechtsradikalen Milieu anzutreffen ist, sondern vielmehr ihren Kern in der Mehrheitsgesellschaft hat und dort getragen wird von einer ganz besonderen Hässlichkeit, der ordinären Intellektualität, ist nichts Neues und macht einen selbstreflektierenden Umgang mit dieser Thematik umso wichtiger und dringender.

Im Folgenden soll nicht etwa gezeigt werden, dass es sich im Umfeld von Berga (zwischen Nordhausen (NDH) und Sangerhausen (SGH)) um eine herausragende Besonderheit von rechtsextremen Strukturen handelt, sondern dass sie über viele Jahre unter dem Schweigen und der Akzeptanz der Menschen existieren konnte und kann.

So schaffte es Enrico Marx, eine der Schlüsselfiguren der rechtsextremen Szene in Sachsen-Anhalt, viele Jahre seine Freie Kameradschaft „Ostara-Skinheads“ zu leiten, ohne ziviles und kaum polizeiliches Einschreiten rechte Skinheadkonzerte z.B. in Sotterhausen (bei Sangerhausen) zu veranstalten und seit 2007 mehrfach das NPD-Sommer- bzw. Winterfest in SGH auszurichten. Die Proteste im Jahr 2007 beschränkten sich auf ein Konzert, auf Muffinverzehr unter dem Motto „Lieber braun essen, als braun denken!“ und Politikerprofilierung.3 Selbst als Anfang 2007 ein Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in SGH von 4 Neonazis mit Molotowcocktails verübt wurde, was, wie sich im Nachhinein herausstellte, eine Zuspitzung anderer Angriffe auf das Heim gewesen ist, regte sich kein Protest.4 Regelmäßig werden Angriffe von Neonazis auf Jugendkonzerte hingenommen.5

Auch ein Blick nach Nordhausen lässt die Präsenz von rechten Strukturen nur allzu deutlich erkennen. Die rechte Gruppe „NDH City“ bekam 2009-2011 über 100 Ermittlungsverfahren u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruch; selbst wegen einem Angriff der Neonazis auf Polizeibeamte wurde ermittelt. Bei einer Gedenkveranstaltung wegen der Bombardierung Nordhausens bzw. des angrenzenden Konzentrationslagers Mittelbau-Dora wurde, nachdem die Anmelder der Versammlung die bekannten Neonazis offensichtlich nicht von der Kundgebung ausschließen wollten, die Oberbürgermeisterin B. Rinke nach gemeinschaftlichen „Haut ab!“-Rufen und dem Versuch den Kranz der NPD zurückzugeben vom Kreisvorsitzenden und NPD-Ratsherren Roy Elbert tätlich angegriffen.6

Die „Aktionsgruppe Nordhausen“, eine der Mitunterstützer des Festivals „In.Bewegung“, wurde ab 2012 zu einer regelrechten Bedrohung. Gedenkveranstaltungen, aber auch eine Menge an politisch motivierten Straftaten wie Volksverhetzung, gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz prägen ihre Aktionen.7 So schaut auch die Polizei längst weg, wenn bei einer öffentlichen Veranstaltung vor ihren Augen junge, eindeutig alternativ aussehende Menschen von den Neonazis mit Pfefferspray angegriffen werden.

Ein Blick in den letzten Verfassungsschutzbericht von Sachsen-Anhalt verrät allein auf 69 Seiten zum Thema Rechtsextremismus einen einfachen Überblick über die nachbarschaftlichen, organisierten Neonazi-Umtriebe. Dabei unerwähnt bleiben jedoch gewöhnliche, rechte Dorfschläger, spätpubertäre Wichtigtuer und stammtischparolen-gröhlende Bekannte, also Nachbarn und Freunde, Arbeitskollegen und Saufkumpane, Feuerwehrkameraden und Vereinsmitglieder, die im Alltag nur allzu gern akzeptiert werden oder an denen bis auf ein paar diskriminierende – seien es rassistische, antisemitische oder sexistische – Sprüche oberflächlich nichts auszusetzen ist.

Diese jahrelange Überschneidung der rechten Strukturen mit dem gewöhnlichen Dorf- und Kleinstadtleben, das Versagen polizeilicher Kräfte, der Politik und die temporäre Selbstbeweihräucherung der ohnehin nicht funktionierenden Zivilgesellschaft machen deutlich, wie gering das Interesse tatsächlich nur sein kann, sich kritisch mit dieser Problematik auseinander zu setzen.

Und wieder einmal werden von der Gemeinde und vermutlich von der Polizei Straftaten billigend in Kauf genommen. Dazu ein Blick auf die Bands.

„Kraftschlag“

„Kraftschlag“ ist eine einschlägig bekannte Rechtsrockband, die seit ihrer Gründung 1989 nationalistische Propaganda, Rassenhass und Holocaustbeschönigung in gewaltverherrlichenden Texten verbreitet. Auch die nachwendezeitlichen Angriffe auf Asylbewerberheime (z.B. Rostock-Lichtenhagen) werden wie in einem Video zu sehen8 von einem Mitglied der Band mit den Worten begrüßt: „Meinetwegen können sie das jeden Tag machen.“ So musste sich Jens Uwe Arpe, der Sänger der Band, wegen Straftaten u.a. im Zusammenhang mit Volksverhetzung und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen auch schon mehrfach vor Gericht verantworten, was zu einer Bewährungs- aber auch zu einer 2-jährigen Gefängnisstrafe im Jahr 1999 führte.9 Auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) verbot den Vertrieb eines Großteils ihrer Alben im Sinne des Jugendschutzes oder wie beispielsweise im Fall von „Live in Club Valhalla“ (2007) gänzlich; zwei ihrer Alben („Trotz Verbot nicht tot“ (1992) und „Nordwind“ (1994)) sind sogar beschlagnahmt worden (lächerlicherweise ist dies mittlerweile verjährt). Aber selbst staatliche Maßnahmen unterbinden das Treiben der Neonaziband nicht. Immer wieder zieren teils auch nur angedeutete Hakenkreuze ihre CD-Cover (z.B. „Live in Weimar“). Zwar ist ihre Bandbiographie in den letzten Jahren begleitet von Auftrittsverboten oder -rücktritten in Deutschland – u.a. weil den Auflagen nicht nachgekommen werden kann – doch bietet der europäische Raum Bands mit Nähe zum „Blood and Honour“-Netzwerk viele Konzertmöglichkeiten.

„Oidoxie“

So auch die Dortmunder Rechtsrockband „Oidoxie“. Mit ihrer dritten Veröffentlichung „Schwarze Zukunft“ erregten sie mit Textzeilen wie „Sie kämpften stolz und stark, steckten Dörfer in Brand,…Wikinger, sie waren die Besten!“ und „Fremde Völker strömen hinein, es werden immer mehr, das darf doch nicht sein….wir kämpfen für Deutschland und bleiben dabei. Wir sprengen die Ketten und schlagen uns frei und schreien immer wieder: Heil, Heil!“ Aufsehen, was schließlich zur Beschlagnahmung durch die BPjM führte. Weiterhin spielt eine Glorifizierung der Wehrmacht und des Nationalsozialismus („hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um!…, hisst die rote Fahne mit dem Hakenkreuz!“ im in Schweden produzierten Video „Kriegsberichter Volume V“), Rassenhass und Gewaltverherrlichung stets eine große Rolle in ihren Liedtexten. Die sich teilweise in ihrer Besetzung überschneidende Band „Weisse Wölfe“ (Marko Gottschalk – Sänger bei „Oidoxie“ und Drummer bei „Weisse Wölfe“, Dennis Linsenbarth – Bassist) betreibt ganz offen Volksverhetzung und Aufrufe zur Gewalt im Gewand von ganz besonders ekelhaftem Judenhass („Für unser Fest ist nichts zu teuer 10.000 Juden für ein Freudenfeuer….Ihr tut unserer Ehre weh. Unsere Antwort Zyklon B“), Hass und Gewaltaufrufe gegen Polizisten („Bullen haben Namen und Adressen, kein Vergeben und kein Vergessen…Und am Tage der Rache wolln wir euch bluten sehn“) sowie Hass gegen Migranten („Wenn wir uns finden beim Marsch durch das Land, dann brennt in jeder Stadt ein Asylantenheim ab“). Auf diesem Album „Weisse Wut“ (2002) posieren sie auf dem Cover vor der Flagge der verbotenen Neonazipartei FAP. Eine im Jahr 2003 angestrebte Strafanzeige10 und schließlich 2005 aufgenommene Anklage gegen u.a. Marko Gottschalk wurde wegen Überschreitung der Verjährungsfrist, einem Trick der Rückdatierung ihrer Veröffentlichung, und auch wegen der Nichtnachvollziehbarkeit der Beteiligung einzelner Personen an den Straftaten mit einem Freispruch beendet. „Oidoxie“ ist immer wieder bei „Blood and Honour“- oder „Combat 18“-Konzerten außerhalb von Deutschland gesehen worden.11 Auch tümmelten sich im Umfeld ihrer Security-Gruppe „Oidoxie Streetfighting Crew“ einzelne Mitglieder des NSU als Brieffreundschaft oder Konzertteilnehmer.12

Zwei weitere Bands des kommenden Neonazifestivals „Painful Awakening“ und „Strafmass“ traten bereits bei „Blood and Honour“-Festivals in den Niederlanden bzw. Budapest auf, wohingegen letzteren sogar die Gründung der Neonazi-Gruppierung „Combat 18 – Terrormaschine“ zugeschrieben wird.

Ganz offensichtlich muss im Vorfeld bereits klar sein und somit wissentlich in Kauf genommen werden, dass es bei dem Neonazifestival „In.Bewegung“ vermehrt zu Straftaten kommen wird, sobald oben genannte Bands auf der Bühne spielen (§86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, §86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, §130 Volksverhetzung, §130a Anleitung zu Straftaten). Dies ist selbstverständlich inakzeptabel und sollte schnellst möglich von den zuständigen Behörden und Polizei unterbunden werden!

Das Bürgerbündnis „Sangerhausen bleibt bunt“, welches mit kindischen Aktionen und Volksfeststimmung versucht, eine demokratische, tolerante, kritische Zivilgesellschaft nach innen zu erzwingen und nach außen zu suggerieren, wirkt lächerlich und unnötig. Doch wird damit ein wichtiges Zeichen gesetzt: bei so viel Spaß für jeden Menschen in dem trostlosen Dorf Berga lohnt eine Fortsetzung der Festivitäten im nächsten Jahr allemal!

5 z.B. bei den jährlichen Konzerten an der Walkmühle in SGH und anderen http://de.indymedia.org/2011/11/320382.shtml